Psychosozialer Kontext

Döbert-Nauert führt die "Hemmung der Ausbildung schriftsprachlicher Kompetenzen" bei Erwachsenen u.a. auf ein "Vermeidungsverhalten" in Bezug auf "Schriftsprache im Alltag" zurück (1985,9, zit. n. Bastian u. a., 1987). Dieses Vermeidungsverhalten basiert nach Döbert-Nauert auf dem "Selbstbild als Lese-/ Schreibunkundiger". Das Selbstbild seinerseits basiert auf:

  • Stigmatisierung und "Angst in sozialen Kontexten",
  • der persönlichen Einschätzung über die Entstehung des eigenen Analphabetismus und
  • den Bedingungen, die das Lesen- bzw. Schreiben lernen aktuell behindern,
  • der "Einschätzung der eigenen Kompetenzen" und
  • der Bedeutung, die Lesen und Schreiben im persönlichen Alltag haben
    (Döbert-Nauert 1985, zit. n. Bastian u. a., 1987).

Wenn die Erwachsenen in den Alphabetisierungskurs kommen, haben sie aufgrund vielfach erfahrener Demütigung und Abwertung eine berechtigte Angst vor Lese- bzw. Schreibsituationen entwickelt. Aus dieser Angst sind Vermeidungs- und Blockade-Strategien in Bezug auf Lesen und Schreiben entstanden. Bei diesen Strategien handelt es sich um Selbstschutzmechanismen, die im Prinzip eine gesunde Reaktion auf die pathologische Situation Lese-/Schreibüberforderung und -abwertung darstellen. Das zugrunde liegende Gefühl - Angst - schränkt die kreative Leistungsfähigkeit stark ein und behindert damit das Lesen und Schreiben lernen.

Hemmungen und Blockaden überwinden

Angesichts dieser Mechanismen bedeutet Lesen und Schreiben lehren bei funktionalen Analphabet/inn/en also auch, an den Hemmungen und Blockaden bzw. den im Alltag latent immer vorhanden Strategien zur Vermeidung des Lesens bzw. Schreibens zu arbeiten. Viele Kursleiter/innen haben das erkannt und den Umgang mit Blockaden und Traumatisierungen zum Bestandteil der Alphabetisierungsarbeit gemacht (Heling 1990).

Die Arbeit an den Vermeidungs- und Blockademechanismen ist vor allem deshalb wichtig, weil Schriftsprache permanent benutzt werden muss, um ausreichend gelernt bzw. nicht wieder verlernt zu werden. Die Nicht-Nutzung von Schriftsprache im Alltag stellt somit ein massives Hindernis im dauerhaften Schriftspracherwerb dar. An dieser Stelle setzen die Dialog-Journale an, indem sie eine Möglichkeit offerieren, Schriftsprache mit persönlichem Gewinn regelmäßig zu nutzen.

Literatur

Hannelore Bastian, Guido Manger, Doris Waldmann (1987): Alphabetisierung in der Bundesrepublik Deutschland. Eine themenorientierte Dokumentation, Frankfurt/Main: (Pädagogische Arbeitsstelle Deutscher Volkshochschul-Verband).