Ungünstige psychosoziale Faktoren

Viele funktionale Analphabet/inn/en können sich mündlich recht gut ausdrücken und müssen "nur noch" lernen, sie in ausreichendem Maße zu lesen und zu schreiben. Allerdings hat die Forschung gezeigt, dass dieses "nur noch lesen und schreiben lernen" in der Regel durch eine Interaktion verschiedener psychosozialer Faktoren erschwert wird. Meist handelt es sich dabei um eine Mischung aus ungünstigen personalen, familiären und schulischen Bedingungen während der Schulzeit und daraus resultierend um eine starke Verinnerlichung der negativen Erfahrungen mit dem Lesen und Schreiben (u.a. Füssenich 1993; Schwänke 1990; Romberg 1993).

Schutzraum und Verlockung

Dialog-Journale knüpfen durch ihren Gesprächs-Charakter an die mündliche Kommunikation an, in der sich auch funktionale Analphabet/inn/en meist als kompetent erleben. Somit sind Dialog-Journale eine Methode der Schriftsprachförderung, mit der das kommunikative Repertoire der Lernenden durch die papierne Fortführung bekannter, mündlicher Kommunikationssituationen erweitert wird. Mit individuell abgestimmten Formen der Schriftlichkeit (von zeichnen über Bilder einkleben bis zum Texte verfassen) wird das vertraute mündliche Gespräch in eine mehr und mehr schriftbasierte Form überfuhrt. Das Primat liegt beim Übermitteln einer Botschaft auf dem Schriftweg bzw. mittels Bildern und anderen auf Papier realisierbaren Formen der Kommunikation. Dialog-Journal-Kommunikation bedeutet also auch, sich in einem gewissen Rahmen von den Normen der Schriftsprache zu lösen - um sich ihnen dann im Dialog mit den Lernenden nach und nach wieder anzunähern.

Da nicht Schreiben, sondern der ungestörte Dialog das Ziel beim Schreiben von Dialog-Journal-Einträgen ist, liegt die Konzentration der Lernenden nicht auf dem Schriftspracherwerb. Anders formuliert: Das Dialog-Journal-Schreiben lenkt von den als problematisch empfundenen Anteilen des Lesens und Schreibens ab und führt die Aufmerksamkeit der Schreibenden auf dessen positive Aspekte: den Inhalt der Dialog-Journal-Einträge, die Spannung des Dialogs (Schlenker-Schulte 2005). Mit Kretschmann (2002, 14) gesprochen stärkt Dialog-Journal-Kommunikation im "Aversionseigung -Konflikt" die Neigung und fördert die "spontane Lernbereitschaft". Nickel nennt ein solches Vorgehen "zum Lesen verlocken" ( Nickel 2000a, 221).

Schutzraum Dialog-Journal

Einfluss von Dialog-Journalen auf das Geflecht von psychosozialen Ursachen der Schriftvermeidung. Gestaltung in Anlehnung an Döbert-Nauert (1985)